"Education meets Future" - nur leider nicht in deutschen Schulen!

„Forward-Thinking Education“ – was kann die Ross School, was wir nicht können?

 

Wir haben unsere beiden Kinder insgesamt fünf Jahre lang bei ihrer Universitätsausbildung auf der anderen Seite der Welt begleitet. In dieser Zeit haben wir sehr viele Eindrücke gewonnen und Erfahrungen gesammelt  vor allem ,dass die Erziehungs- und Ausbildungsmodelle der Eltern und Schulen jenseits von Deutschland oft rigoroser und anstrengender, mit Sicherheit aber zukunftsorientierter sind. Unsere Kinder werden in Zukunft mit diesen Schülern und Schülerinnen um Ausbildungs- und Arbeitsplätze global konkurrieren müssen und dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass unsere Kinder immer häufiger im Ausland studieren wollen. Aber sind sie dafür vorbereitet?

 

Wir schauen auf Zeiten, die als große Herausforderung vor uns liegen. Wir haben es mit Schülern einer digitalen Generation zu tun, die unterrichtet werden sollen. Wir wollen Werte erhalten und vermitteln und wir wollen die Mädchen und Jungen darauf vorbereiten eine globale Gesellschaft zu gestalten, die sich konstant verändert.

 

So beginnt der Jahresbericht der Ross School im State New York in den USA für das Jahr 2016/2017. Und weiter heisst es: das allgegenwärtige Bewusstsein die Zukunft formen zu wollen, prägt die Mission und das Curriculum der Schule und findet seinen Ausdruck im Konzept der „Foresight Education“. 

 

Aufgrund der Geschwindigkeit von Wachstum und Wandel ist es zwingend, dass Schüler und Schülerinnen lernen vorausschauend zu denken und zu handeln, damit sie in der Lage sein werden, das, was sie gelernt haben, auf neue und andere Technologien, auf neue und andere Gemeinschaften und ihre Ideen anwenden zu können. Diese Vorbereitung auf die Zukunft durch die Schule leistet die Ross School anhand der digitalen Zusammenfassung seines spiralen Curriculums und den damit verbundenen Lernerfahrungen. Das innovative Curriculum basiert auf einer Chronologie der Weltgeschichte, die mit den Inhalten der Mathematik, der Kunst, der Geistes- und Naturwissenschaften, der Sprachen, des Sports, aber auch der Medien und neuen Technologien verwoben wird, um die wesentlichen Disziplinen zu nennen. Dies geschieht mit dem Ziel engagierte Lerner zu entwickeln, die „tief“ und interdisziplinär denken und verstehen können, die kreativ sind und innovative Lösungswege gehen können. Es soll das „ganze Kind“ für die gesamte Welt erzogen und ausgebildet werden, indem fachübergreifend gelehrt und gelernt wird. 

 

Darüberhinaus gibt es das Ross Innovation Lab, das den Schülern und Schülerinnen ermöglichen soll unabhängig vom Lehrplan in den Bereichen Elektronik, Programmierung, digitalen Medien sowie in naturwissenschaftlichen Projekten aktiv zu lernen und zu entdecken – in Verbindung mit Sponsoren, Projektträgern, Instituten oder Wissenschaftlern weltweit. Und die wirklich gute Nachricht ist, die Ross School wird ihr Lern- und Lehrsystem bald weltweit zur Verfügung stellen.

 

Was ich in der Ross School auch gesehen habe, sind großzügige und beeindruckend gut ausgestattete Schulgebäude inmitten eines weiten Pinienhains, die in Bau und Einrichtung den jeweiligen Abschnitt des chronologischen Lehrplans widerspiegeln, für den sie gebaut worden sind. Mit Staunen sah ich ein Schulgebäude, welches das Zeitalter der Industrialisierung nachahmte und ich besuchte die Senior School, deren Architektur und Ausstattung unserer Zukunft gewidmet sind. Diese inhaltliche und zeitliche Perfektion spiegelt sich bis ins kleinste Detail in den Klassenzimmern wieder und diese wiederum sind geeignet alle Sinne zu schärfen, die des Geistes, aber auch die der Schönheit und der Kultivierung. Dabei hat die gesamte Ross School von der ersten Klasse bis zum Abiturjahrgang einen starken und innigen Bezug zur Natur, umgeben von Wald und Wiese, ausgestattet mit einem beeindruckenden Lehrgarten unter wissenschaftlicher Leitung, einer Schulküche, die organisch kocht und  gleichzeitig Ernährung lehrt und vielfältigen Schulprojekten, zu Wasser und zu Land, die die Schüler oftmals in Zusammenarbeit mit Fachgremien, Unternehmen und Wissenschaftlern belegen können. 

 

Ich habe neben der Schulleitung die Leiterin des Curriculums und einige Lehrer kennengelernt und alle machten auf mich einen höchst qualifizierten und auch sehr motivierten Eindruck. Wenn Lehrer der Ross School, die ausgebildet und geübt sind den Unterricht fächerübergreifend zu gestalten, über das Phänomen Michelangelo zu Zeiten der Renaissance sprechen, dann sind sie in der Lage seine Mathematik zu erklären und gleichzeitig seine Kunst zu vermitteln. Wenn Darwin im 19. Jahrhundert diskutiert wird, dann geschieht dies interdisziplinär in Biologie, Soziologie, Zeitgeschichte und Politik. Das Interdisziplinäre erfasst nicht nur den Unterrichtsstoff, sondern auch die Pädagogik in den Klassenräumen. Erstklässler der Ross Scholl lernen den Urknall, die Sterne, die Weltkugel. Abiturienten befassen sich in ihrem Jahrgang wieder mit dem Urknall auf weit höherem Niveau. Beide Altersgruppen werden zeitweise zusammengeführt, damit die älteren Schüler die Jungen motivieren und erziehen und die jüngeren Schüler die Abiturienten inspirieren. Diese Form des Unterrichtens braucht eine Vision, eine neue konzeptionelle Auslegung, eine wirklich zielgerichtete Umsetzung und die heißt: die Schule fokussiert sich zu 100 Prozent auf das Kind, sie erkennt die Talente, die Stärken und Schwächen. Sie fördert und fordert und bietet unterschiedliche Leistungsniveaus in kleinen Klassen. Diesen Ansatz finden Sie auch in Internationalen Schulen, deren Konzept und Aufgaben ich im Ratgeber „Wo bitte geht´s nach Stanford“, erschienen im Beltz Verlag, beschrieben habe.

 

Wenn ich nun meine Eindrücke zum Thema „Schule in Deutschland“ zusammenfasse und sehr vereinfacht darstelle, dann würde ich sagen: Kultusministerien der Länder generieren föderalistische Lehrpläne, die kein Zentralabitur vorsehen. Damit verhindern sie die Vergleichbarkeit der Leistungen, den Wettbewerb unter gleichen Bedingungen und die Chancengleichheit für alle Schüler Deutschlands unabhängig von ihrer regionalen Zugehörigkeit. Diese unterschiedlichen Lehrpläne sind, weil politisch beeinflusst, unterschiedlich schwer, was Inhalt und Überprüfung des Lernerfolgs betrifft. Zudem haben wir seit einiger Zeit die Errungenschaft der Inklusion und nach wie vor dringlich ist die Flüchtlingsproblematik. Wir haben ein Schulsystem, in dem das Gymnasium in manchen Bundesländern immer einfacher wird und grundsätzlich wieder länger dauert, damit auch alle mitkommen können. Neben diesem „Gymnasium für alle“ schrumpfen aber die anderen Schulzweige wie Realschule oder Hauptschule und/oder darben vor sich hin – als schlechtere aller Wahlmöglichkeiten, sowohl was die Zukunftschancen, als auch was Prestige und Ansehen betrifft. Die Schulklassen sind übervoll und im Unterricht ist keine Zeit für den Einzelnen. Es gibt wenig Förderung und gezielte Unterstützung für den Schwachen und noch viel weniger für den Starken. Die Schüler werden zu oft allein gelassen und die Eltern sollen weiter als Hilfslehrer fungieren. Unser Schulsystem reagiert nicht bis sehr unflexibel und unangepasst auf sichtbare und einschneidende Veränderungen und den Wandel der Welt und ignoriert in hohem Masse bis komplett die Anforderungen der Zukunft. Unsere Schulperspektive ist eine lokale und regionale, ohne Bezug zur Welt im Ganzen, zur globalisierten Wirtschaft und der internationalen Gesellschaft, zu den neuen Technologien, die bereits unser aller Leben verändern. Grundsätzlich betrachten wir die Schule als Institution der Wissensvermittlung, weisen aber jegliche Verantwortung hinsichtlich Erziehung im herkömmlichen Sinne und hinsichtlich der Vermittlung von Werten, die eine Gesellschaft stabil und prosperierend erhalten, weit von uns. Das ist Sache der Eltern, der Familie, die aber mittlerweile nur noch bedingt funktioniert oder aufgrund von Migration und vielen anderen Einflüssen kulturell verändert bzw. aufgeweicht ist. Dazu gehört, daß unsere Kinder mittlerweile gleichzeitig in einer realen und virtuellen Welt leben. In diesem Zusammenhang erlebe ich Eltern und Lehrer, die sich dieser neuen Lern- und Arbeitswelt verschliessen, sei es aus einer diffusen Angst vor Technik, aus Unsicherheit infolge großer Uninformiertheit, aufgrund von Ignoranz und Rückwärtsgewandtheit. Diese Eltern und Lehrer halten dann mit Blick auf das Gymnasium nur die klassische Allgemeinbildung als Legitimation hoch und schieben die Tatsache, daß die Welt globaler, schneller und komplexer geworden ist, weit von sich und sehen vor allem inhaltlich keinerlei Zusammenhang zur beruflichen Ausbildung ihrer Kinder. Zeitlich denken sie lediglich bis zum Abitur und verschieben alle Zukunftspläne ihrer Kinder auf die Zeit nach dem Abitur. Sie wissen nicht, daß die internationale Ausbildungswelt dieses Laissez-faire bestrafen wird, indem diese Kinder Zulassungsbeschränkungen erfahren, unter mangelnder Vorbereitung leiden, Fähigkeiten nicht vorweisen können oder unter dem ersten Eindruck von hartem Wettbewerb und Konkurrenz nicht bestehen können.  

 

Ich frage mich, was die Lösung sein wird, die die nächste Entscheidungsrunde der Kultusministerien bringen wird? Weder haben die Schulen das notwendige Equipment, noch sind die Lehrer zukunftsorientiert, geschweige denn fachübergreifend ausgebildet. Weder haben wir eine ganzheitliche Ausrichtung der Lehrpläne und Lernkonzepte, noch können wir alle Inhalte, alte und neue in einen Gesamtlehrplan für unsere Schüler stopfen. Diese noch stärkere Überfrachtung der Lehrpläne, die ja bereits Realität ist und von vielen Eltern und ihren Kindern beklagt wird, führt meines Erachtens nicht zu sinnvoller und nachhaltiger Schularbeit, sondern nur zu routiniertem Auswendiglernen und Vergessen, nachdem der Stoff abgefragt wurde.

In unserer Schullandschaft haben wir die staatlichen Schulen, wir haben aber auch die Montessori- oder Steiner-Schulen als wesentliche Bestandteile unserer eher kleinen Privatschul-Kultur. Ihre Lehrpläne sind von Lehren geprägt, die dem Wohl und der Entwicklung des Kindes sehr viel mehr Zeit und Raum geben, gegebenenfalls auf Noten verzichten oder die Natur zum Lehrmeister machen. Aber auch hier handelt es sich nicht um neue Visionen mit Blick auf die Zukunft, sondern um schulische Konzepte des 19. und 20. Jahrhunderts, die zudem und leider immer noch in den Augen vieler nicht „normal“ sind und dazu da sind Kinder auffangen, die „Probleme“ haben. 

 

Wie also muss eine Schule der Zukunft aussehen, die ein hohes Mass an Bildung gewährt, aber die Kinder in die Zukunft führt und die den dringlichsten Bedürfnissen Rechnung trägt, indem sie auch auf kulturelle Veränderungen eingeht und individuell mehr Unterstützung und Erziehung bietet?

Unsere Schulen sollten ein ganzheitliches Leitbild haben, wie die Internationalen Schulen oder eben wie die Ross School, die die Forward-Thinking-Education umsetzt und damit auch die Zukunftsorientierung in die Klassen trägt. Unsere Schulen müssen die Entwicklung der Welt widerspiegeln und, folgen wir der Ross School, auch antizipieren können. Unsere Schulen müssen endlich den Anforderungen der Zukunft genügen, die ja hinlänglich bekannt sind und sie müssen unsere Kinder erziehen und ihnen Werte vermitteln, die unsere Gesellschaft und unsere Gemeinschaft tragen. Es kann nicht mehr funktionieren alle mit möglichst wenig Aufwand durch ein Sieb zu pressen. Wir brauchen mehr Zeit und Unterstützung für den Einzelnen und das erreichen wir nur mit  dem Ganz-Tages-Unterricht, mit mehr Initiative, mehr Zeit und mehr Einsatz. Und ganz praktisch gesehen: unsere Schüler müssen ihre Computer im Schlaf programmieren können, sie müssen das Netz verstehen und beherrschen. Sie müssen Englisch, Spanisch oder Mandarin beherrschen und sie müssen Wettbewerbe austragen und erfahren, um für die späteren Anforderungen gewappnet zu sein. Und das ist kein Luxus, sondern absolute Notwendigkeit.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0